Somatoforme Störungen

Zur Gruppe somatoformer Störungen gehören …

  • Somatoforme Störungen (F45.)
  • Somatisierungsstörung (F45.0)
  • Undifferenzierte Somatisierungsstörung (F45.1)
  • Hypochondrische Störung (F45.2)
  • Somatoforme autonome Funktionsstörung (F45.3)
    • hierzu gehören z.B. Reizmagen und Reizdarm
  • Anhaltende somatoforme Schmerzstörung F45.4

„Somatoforme Störungen“ nennt man Erkrankungen, die zwar wesentliche psychische Ursachen haben, die aber vor allem mit körperlichen Beschwerden einhergehen. Es liegt daher in der Natur der Sache, dass oft zunächst körperliche Untersuchungen durchgeführt werden, bei denen kein krankhafter Befund festgestellt werden kann. Dies kann dazu führen, dass man sich mit seinen Beschwerden vom Arzt nicht ernst genommen fühlt. Vom ersten Auftreten der Beschwerden bis zur Diagnosestellung einer Somatoformen Störung vergehen nicht selten einige Jahre. Unbehandelt verläuft die Erkrankung oft chronisch, verschlechtert sich langfristig und führt zu schweren Beeinträchtigungen. Ist die Diagnose aber erst mal gestellt, ist eine Behandlung möglich und aussichtsreich.

Für die Behandlung Somatoformer Störungen ist es wichtig, ein gemeinsames Verständnis der Ursachen, insbesondere auch der psychischen Ursachen zu entwickeln. Praktisch jedes Gefühl wird von einer Körperreaktion begleitet. Nummenmaa et al. (2013) haben untersucht, wo Emotionen im Körper wahrgenommen werden und die Ergebnisse als Topografie basaler sowie komplexer Emotionen dargestellt (hier Klicken zur Originalarbeit). Angst zum Beispiel geht oft mit Herzrasen und Schweißneigung, nicht selten auch mit Luftnot und Schwindel einher. Auch der Magen-Darm-Trakt kann mitreagieren. Vielleicht haben Sie dies vor einer wichtigen Prüfung oder einer anderen angstbesetzten Situation schon mal erlebt. Auch unser Schmerzempfinden wird durch psychische Prozesse stark beeinflusst. Nicht alle psychischen Belastungen sind so bewusst wie die Anspannung oder Angst vor einer Prüfung. In der Regel kann man nicht alle Quellen psychischer Belastung alleine finden. Es macht Sinn, dazu therapeutische Unterstützung zu nutzen.

Neben psychotherapeutischen Gesprächen sind auch die Bewegungstherapie und die Physiotherapie hilfreiche Bestandteile der Behandlung. Ziel ist es, wieder Vertrauen in den eignen Körper zu gewinnen, eigene Körperwahrnehmungen besser zu verstehen und zu nutzen. Anders als bei einigen körperlichen Erkrankungen ist es oft nicht zielführend, den Körper nur zu schonen. Eine unangemessene Schonung kann zu Trainingsmangel führen und damit zur Verstärkung von Beschwerden (siehe Verschleißhypothese). Umgekehrt macht es Sinn, sowohl psychische als auch körperliche Signale früh wahrzunehmen und ernst zu nehmen, um notwendige Grenzen zu ziehen und sich nicht zu überfordern.

Es gibt keine klare Trennung zwischen dem „Psychischen“ (Gedanken, Gefühle, Wünsche, Absichten …) und dem „Körperlichen“ (Anatomie, Physiologie …), weil psychische Vorgänge im Gehirn von lokalisierten körperlichen Prozessen begleitet werden (Mentzos 2011). Zum Beispiel wird Angst als psychisches Phänomen begleitet von einer Erhöhung der Herz- und Atemfrequenz, von Schwitzen und Zittern sowie von einer Aktivierung verschiedener Anteile des Nervensystems (z.B. Sympathikus und Amygdala). Ständige psychische Anspannung wird oft von einer dauerhaften Beeinträchtigung, z.B. des Magen-Darm-Kanals begleitet (Reizcolon, Reizdarm).

Von Betroffenen werden körperliche Missempfindungen oft nicht als normale Stressreaktionen interpretiert, sondern als Krankheitszeichen (Hiller et al. 1997). Das Erleben dieser Missempfindungen als Zeichen einer drohenden Katastrophe führt dann zu Aufmerksamkeitsfokussierung auf körperliche Symptome, was die Wahrnehmung von Missempfindungen steigert. Dieses Phänomen, auch im Sinne eines Teufelskreises, nennt man somatosensorische Verstärkung (Barsky und Whyshak 1990).

Ursachen, die die Entstehung Somatoformer Störungen begünstigen können, sind vielfältig und zum Teil gut erforscht. Hintergründe können emotionale Vernachlässigung in der Kindheit sein (Bezugspersonen haben kaum Zeit, sind erkrankt oder wurden ablehnend erlebt) oder Traumatisierungen in jedem Lebensalter (Gewalterfahrung, Missbrauch).

 

Die Methode des Somatischen Narrativs

Sinngemäß nach Goethe:
„Denn das Schwerste ist, zu sehen, was vor den Augen Dir liegt.“

Alle psychosomatischen Erkrankungen, insbesondere natürlich die sehr häufigen Schmerzstörungen,  aber auch Depressionen und Ängste, gehen neben dem psychischen Leiden mit erheblicher körperlicher Symptomatik einher. Diese erscheint zunächst unerklärlich und unabhängig vom gesamten Leidensprozess, was zur Missachtung möglicher Zusammenhänge verleitet. Häufig haben Patienten sogar den Eindruck, die quälenden körperlichen Symptome seien die ausschließliche Ursache ihres Leidens. Es kann hierbei durchaus eine körperlich behandlungsbedürftige Problematik vorliegen, aber alle Versuche der körperlichen Behandlung führen zu keinem befriedigenden Ergebnis.  Auch alle Versuche der Behandlung auf einer psychischen Ebene führen zu wiederholtem Scheitern. Nimmt man aber den unauflöslichen Zusammenhang zwischen körperlichen und psychischen Vorgängen in Betracht,  wird vieles plötzlich sehr viel einfacher. Wichtig ist hierbei allerdings, dass inzwischen verlässliche Untersuchungen über direkte spezifische Zusammenhänge zwischen emotionalem und körperlichem Erleben und Reaktionen vorliegen (siehe hierzu auch den Artikel und die Bilder von Nummenmaa et al. 2013).

So wird eine Brücke geschaffen zwischen scheinbar verbindungslosen Aspekten des Erlebens und Handelns, welche in der individuellen Lebens- und Leidensgeschichte im Erzählen, dem Narrativ  der körperlichen Aspekte, die Erinnerlichkeit von Situationen, inneren und äußeren Zusammenhängen  enorm begünstigt, so dass mit diesem Material  auf bewährte Weise weitergearbeitet werden kann. Die Entwicklung eines solchen somatischen Narrativs stellt demnach eine hochwirksame Methode  dar, systematisch einen bislang eher sporadisch genutzten Zugang  zu verschütteten, verdrängtem Erleben und Erinnerungen zu ermöglichen, welcher mit allen bewährten Methoden  der Psychotherapie, ob psychodynamisch oder verhaltenstheoretisch,  bearbeitet werden kann.

Karte basaler Emotionen nach Nummenmaa et al. 2013

 

 

Karte komplexe Emotionen nach Nummenmaa et al. 2013